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Channel: Opern- & Konzertkritik Berlin
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Kritik Staatskapelle Berlin Barenboim: Mozart Klavierkonzert KV466 Bruckner 5

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Staatskapelle Berlin Bruckner Barenboim2

Bruckner, Staatskapelle, Barenboim, Konzerthaus / Foto: twitter.com

Die Staatskapelle Berlin im Konzerthaus.

Mozarts d-Moll-Klavierkonzert KV 466 spielt Daniel Barenboim überlegen und durchdacht.

Einige Beobachtungen.

  1. Die Staatskapelle überrascht mit schläfrigem Orchester-Intro (wahrscheinlich nicht geprobt).
  2. Barenboims Klavierton: klangschwer, plastisch, sinnfällig
  3. Barenboims Passagen zeigen nicht jenes kristallin Pollini-hafte Ebenmaß, das die Interpretationen des italienischen Pianisten kennzeichnet. Aber sie besitzen Leuchtkraft, untrügliches Gefühl für Gestaltung und dramatische Wahrheit.
  4. Die Rubati könnten seltener UND weniger breit sein (z.B. 2. Mal Solothema, 2. Satz).
  5. Romance (2. Satz): Barenboim zerreißt das erste Thema nicht durch Überbetonung der rhythmischen Nachsatz-Figur der rechten Hand. Gut.
  6. Finale: Die düster-symphonischen Orchestertutti haben bewundernswürdige Energie (gute Pauke, und es wurde exzellent geprobt).
  7. Es werden die Beethovenkadenzen gespielt, besonders schön das dynamische Rück – und Vorschwingen in der knappen Finalkadenz.
Staatskapelle Berlin Mozart Barenboim 2

Staatskapelle Berlin, Mozart, Barenboim, Applaus / Foto: twitter.com

Der ultimative Qualitätstest ist die Ritardando-Passage der Romance, mit dem der expressive g-Moll-Mittelteil die Rückkehr zum Anfangstempo vorbereitet. András Schiff scheitert hieran 2012  kläglich (mit den Philharmonikern). Kissins Gefühl für Prozesse ist an dieser Stelle das Maß der Dinge. Barenboim kommt dem nahe. Er zeigt, wie weit der Raum sein muss, den Mozart in diesen Takten durchquert haben will.

Bruckner 5.

Die Staatskapelle zeigt streicherüppigen, blechgestützten Klang. Barenboim bevorzugt ein tendenziell rascheres Tempo. Jahrzehnte der Brucknererfahrung und instinktive Musikalität verbinden sich zu einer hörenswerten Brucknerinterpretation.

Meine Beobachtungen.

Satz 1:

Barenboim findet mehr und mehr Gefallen am Gar-Nicht-Dirigieren. Beim Übergang zum zweiten Thema lässt er die Arme hängen und das Orchester spielen. Die Durchführung verbindet mustergültig Freiheit und Prozess. Hier herrscht größte anzunehmende Wagnerferne. Heftiger Repriseneintritt, n’est-ce pas?  Die im Vergleich zur Exposition gestraffte Reprise überrascht mich jedes Mal aufs Neue angenehm.

Satz 2:

Ein einsamer Höhepunkt des Berliner (sowie europäischen und generell internationalen) Musiklebens ist die erste blühend-glühende Orchesterexpansion des Satzes. Barenboim hat goldrichtiges Tempo.

Satz 4:

Der nicht durch kontrapunktische Enthaltsamkeit auffallende Finalsatz ist besser als sein Ruf. Ich gestehe indes, dass ich bei all dieser verteufelten Kontrapunktik jedes Mal den Repriseneinsatz verpasse. Selbes Problem in der blechgepanzerten Coda, einem Traum in F-Dur: Ich habe als Hörer nicht die Spur einer Ahnung, wann genau die Rückkehr zur Tonika “da” ist. Dafür leuchtet es mir heute in der drahtigen Coda zum ersten Mal unmittelbar ein, warum eine Tuba bei Bruckner ein absolutes Must-have ist (Solo-Tuba Thomas Keller).

Barenboim ist erkältet, hustet in die vorgehaltene Hand, dann auch ins Tücherl.

Solo-Fagott bei Mozart: Mathias Baier (oder?). Solo-Fagott bei Bruckner: Ingo Reuter.

Einige Stellen, wie die erste Fortissimo-Expansion des Adagio, einige Crescendi der Kopfsätze und des Scherzo, die Coda des Finales werden wohl – berlin-weit wie international – nicht fesselnder gespielt.



Kritik Berliner Philharmoniker Haitink: Mozart Till Fellner KV 503, Bruckner 9

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Till Fellner spielt Mozart.

Er debütiert bei den Berliner Philharmonikern. Fellner und Dirigent Haitink wählen das Klavierkonzert KV 503, ein  “großartiges Werk” mit “geradezu neutralem Charakter des Materials” (Charles Rosen). Till Fellner, 43, umgibt immer noch zarte, jungmannhafte Aura. Ich bin zwiespältig. Fellner bringt eine Art Friedrich-Gulda-Objektivität mit. Stichwort: kennerisches Klavierspiel mit einem Schuss Vintage. Auch dem Unmusikalischsten geht auf, was “sachlich-objektives Musizieren” heißt.

Kurz die Charakteristika:

  1. Der Anschlag ist durchsichtig, schlank, fehlerlos
  2. Forte heißt für Fellner: nicht piano
  3. Delikat abgetönte Akzente
  4. Rhythmische Kraft, reicher Ton fehlen
  5. Drama? Nein! Temperament? Never! Gefühl? Geh!

Der Guardian bemerkte, Fellner sei “a serious fellow”. Fellner, das empfindsame Superhirn, das Phlegma aus Übersensibilität wählt. Die Botschaft ist klar: Qualität, Handwerk, Kontrolle.

Fellner präferiert ein passives Piano. Dann lässt er’s ins Immer-Leise abgleiten. So klingt Fellners Flügel öfter nach obligatem Klavier, als ihm (und mir) lieb sein kann. Klar, das hängt auch mit dem glühenden Engagement der Holzbläser zusammen. Weiter: Dem zweiten Thema in der Klavierexposition, den Passagen im Finale fehlen rhythmische Härte.

Dennoch gibt es geglückte Moments Fellneriaux: das intensive Zusammenspiel mit den Musikern in der Durchführung (1. Satz) ist so einer, ein weiterer der scheue, erste Solo-Einsatz im langsamen Satz.

Kurzum, was Fellner da macht, ist hochinteressant und a bissl langweilig.

Bernard Haitink setzt bei KV 503 auf Wachheit und Gleichmaß. Farben und Feinheiten werden deutlich. Das Tutti ist straff und fabelhaft trocken. Der Klang ist offen, die Verantwortung für Nuancen übergibt Haitink den Musikern. Der Dirigent bannt die Gefahr abstrakter Noblesse. Ich kann Haitinks Mozart ohne Vorbehalt loben.

Bruckner 9.
Haitink macht mit der Neunten, was Fellner mit Mozart machte. Flow, Zen, cool bleiben. Haitink leitet hauptsächlich mit der Rechten. Richard Strauss (“Die linke Hand gehört in die Westentasche”) hätte das gefallen. Objektivität ist bei Haitink erste Dirigentenpflicht. In der perfekt durchdigitalisierten Welt der Digital Concert Hall mag diese Interpretation der Bruckner-9. einmal die Aura vollendeter Formklarheit umwehen. In der Philharmonie klingt sie uninteressant, a bissl lang und ziemlich langweilig.

Mais où-est donc Solène Kermarrec? Je ne l’ai pas vue depuis longtemps.


Preview La Scala Inaugurazione Giovanna d’Arco: Netrebko, Álvarez, Meli, Chailly

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La Scala Giovanna dArco Anna Netrebko

Am heutigen Montag eröffnet die Scala die neue Spielzeit. Riccardo Chailly wird die Premiere dirgieren. Auf dem Programm steht eine Neuproduktion von Giuseppe Verdis Giovanna d’Arco. Das Werk entstand 1844/1845 nach Schillers Jungfrau von Orléans. Es singen Devid Cecconi, der kurzfristig für den erkrankten Carlos Álvarez einspringt, Anna Netrebko, Francesco Meli, Dimitri Beloselskij und Michele Mauro.

La Scala Giovanna d'Arco

Einmal den Hintern versohlt bekommen von Anna Netrebko? In Mailand ist’s möglich / Foto: Brescia/Amisano / twitter.com

Die letzte Inszenierung des dramma lirico in Italien datiert aus 1989. Damals am Pult in Bologna: Riccardo Chailly.

La Scala Giovanna dArco Anna Netrebko

Premiere La Scala Giovanna d’Arco. Moshe Leiser und Patrice Caurier inszenieren / Foto: Brescia/Amisano / teatroallascala.org

Chailly wäre nicht Dirigent der diesjährigen Prima, wenn er nicht Werbung für die Verdi-Rarität machen würde. Das Werk “anticipa i capolavori” und es sei falsch, die Oper der Zeit von Verdis “anni di galera” zuzurechnen, meint Chailly (Quelle: Corriere delle Sera). Moshe Leiser und Patrice Caurier inszenieren. Es erklingt die vieraktige Fassung.

La Scala Giovanna dArco Anna Netrebko

Inaugurazione Giovanna d’Arco: Anna Netrebko behelmt und eingerüstet / Foto: Brescia/Amisano / teatroallascala.org

 

Die Besetzung folgt in Teilen der konzertanten Aufführung der Giovanna d’Arco von den Salzburger Festspielen 2013.

La Scala Giovanna d'Arco Anna Netrebko

Da liegt sie: Netrebko auf dem jungfräulichen Bettchen / Foto: Brescia/Amisano / twitter.com

Sowohl Meli als auch Netrebko sangen damals. Die Saisoneröffnung der Scala, die sogenannte Inaugurazione, findet alljährlich am 7. Dezember statt, dem Namenstag des Patrons von Mailand, des Heiligen Ambrosius. Arte überträgt die diesjährige Premiere live.


Anna Netrebko, Francesco Meli, Riccardo Chailly: Kritik Premiere La Scala Giovanna d’Arco

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La Scala Giovanna dArco Anna Netrebko

Anna Netrebko: Können dieser Helm, dieses eherne Schwert, dieser kecke Pony Böses wollen? / Foto: Brescia/Amisano / teatroallascala.org

Inaugurazione an der Scala.

Giovanna d’Arco ist bester frühmittlerer Verdi. Und wird nur sporadisch inszeniert. Zu Unrecht. In Verdis Historienspektakel stoßen theatralische Wucht, Offenbach’scher Schwung und fanfarendurchleuchtete Ensembles erfrischend hart aufeinander. Die Chorszenen brennen wie trockenes Stroh. Verdis Heftigkeit war eine Erfindung, die die 1840er ähnlich nachhaltig revolutionierte wie das iPhone die Jahre um 2010. Freilich, in Sachen atmosphärischer und dramaturgischer Stringenz legten die Werke der Rigoletto-und-Traviata-Jahre die Latte hörbar höher. In Giovanna d’Arco triumphieren (noch) die bunten Effekte, das Libretto wurde in Grobmontage zusammengeleimt, die Handlung ist an Absurditäten reich.

Was für eine ehrgeizige Regie nicht von Nachteil sein muss – und schon gar nicht für ein neugieriges Verdi-Publikum. Nicht ganz zu Unrecht entwickelt darum das Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier für die Mailänder Jean d’Arc eine Lesart, die unbekümmert Collage- und Kammerspielelemente verbandelt. Ins Zentrum stellen Leiser und Caurier die Titelheldin (Anna Netrebko) als kulleräugig verträumten Backfisch. Sie inszenieren Verdis erste Schilleroper als Kinderzimmertraum. OK, dieser psychologisierende Dreh ist nicht gerade neu und aus etlichen Inszenierungen thematisch ähnlich gelagerter Wagnerwerke bekannt. Dumm nur, dass aus dem Dreh an der Scala so gar nichts wird. Denn konzeptionell pendelt die Neuproduktion mit gewollter Nähe zum Sci-Fi-Trash zwischen dekorativer Harmlosigkeit und unfreiwilliger Putzigkeit.

Vielsagend sind die Bilder, die von Anna Netrebko haften bleiben. Da ist das Bild der fraulich-reifen Giovanna, die in stämmigen Leggings das Theaterschwert schwingt. Da ist das Bild der pausbäckigen Diva mit Goldhelm, die jeder Trash-Fantasy-Produktion Ehre gemacht hätte (Kostüme Agostino Cavalca). Herrlich. Fragt sich nur, wo die Grenze zwischen kalkuliertem Regiewitz und inszenatorischem Megaflop verläuft. Das ist übrigens die Kernfrage des Abends. Das Bühnenbild (Christian Fenouillat) findet schöne Bilder für die fließenden Grenzen zwischen Traum und Realität, die Giovannas Inneres so kindlich-kompliziert machen. Die ziselierte Pappmaschee-Gotik der Reims-Szenen zählt hingegen zu den harschen Fehlgriffen der Regie. Herrje, sieht so nicht übelster Opernplunder aus? Mehr Plunder als Power bieten ebenso die großartigen Massenszenen der Chorensembles. Derart linkische Tableaus habe ich selten gesehen.

Sängerisch wird Netrebko den Erwartungen teilweise gerecht. In “Sempre all’alba” zu Beginn schleichen sich noch Unebenheiten ein. Netrebko bringt für diese Höhen nicht die Tessitura mit. Eindringlicher gelingt das in ruhigere Fahrwasser gelenkte, direkt anschließende kurze Rezitativ “Ma… le stanche pupille”. Einzelne Brava-Rufe. Giovannas herrliches, keckes “Son guerriera che a gloria t’invita” hinterlässt einen hektischen Eindruck. Zudem stört das ungeplante Atemholen inmitten der Phrase.

Schön gelingt ihr “O fatidica foresta”, insbesondere dank reicher Ausstattung mit A-Vokalen, die im mittleren und unteren Register bronzen schimmern. Die Arie gibt der Sängerin alle Zeit der Welt, Vokale auf seelenvollen Piano-Aufschwüngen auszuspinnen und sich rührend um Verdis “ergreifende Empfindsamkeit” (Julian Budden) zu kümmern.

Aber auch hier kommt mir Netrebkos Piano weniger beherrscht vor als noch vor zwei, drei Jahren. Die Stretta-artigen Schlüsse klingen bei ihr nicht frei. Für “Contro l’anima percossa” aus der Ensembleszene des dritten Aktfinales hat Anna Netrebkos pfundiges Franzosenmädel nicht die Agilität. In der zugegebenermaßen hochgelegenen und melodisch nicht sehr ingeniösen Schlusswendung bleibt Anna Netrebko gut hörbar, doch fehlen ihr Kraft und Fülle für eine souveräne Gestaltung. Hervorragend wieder “Amai, ma un solo istante”. In der Arie entfaltet sich ihr Stimmklang pflanzengleich und affektreich wuchernd in sentimentalen Abwärtsfiguren.

Francesco Meli (König Carlo) stapft als vergoldete Luke-Skywalker-Attrappe über die Bühne. Der strenge Kostümbildner verordnete Meli die Vollvergoldung von der Sohle bis zum Scheitel. Melis heller, italienisch timbrierter Tenor zählt nicht zu den geschmeidigsten. Die Spitzentöne kommen ordentlich, sind aber beengt. “Sotto una quercia” (Akt 1) findet lauen Applaus. Im Laufe der Vorstellung zeigt Meli aber, wie viel Romantik in ihm steckt. Mit feiner Sensibilität singt er in jenen Szenen, in denen Zuschauerherzen schmelzen. Francesco Melis tonschöne Arien zeigen, was Verdi-Fans wirklich wollen. Das Timbre in der Höhe erinnert von fern an José Carreras, ohne indes dessen Zurschaustellung forcierten, weil offenkehligen tenoralen Schmelzes zu huldigen.

Die Premiere wird durch die kurzfristige Absage von Carlos Álvarez für die Rolle des Giacomo belastet. Devid Cecconi bietet Ersatz. Cecconi, in Leipzig und Triest aktiv, ist klanglich beschränkt, singt aber in der Arie “Speme al vecchio era una figlia” mit Gefühl, schattiert dynamisch ab und phrasiert aufmerksam. Typisch für Cecconi sind der neblige Klang und die affektgetränkten klanglichen Verfärbungen, die seinem Singen eine provinzielle Note geben. Attraktiv singt Cecconi das feurige “Comparire il ciel m’ha stretto”.

Dimitri Beloselskij (Talbot) lässt ein energisches und sauber phrasiertes “Franco son io” hören, eine Arie voll Verdi’schen Schönheitsschmelzes. Ließe Beloselskij die Sängerunart des Schluchzens, wäre ich noch zufriedener. Michele Mauro ist Delil.

Riccardo Chailly spendiert Verdis Jungfrau von Orléans über die üblichen Verdi-Zutaten Brio, Bravour und Attacke hinaus erfreulicherweise auch schöne Intonation und Präzision. Chor der Scala und Ensemble zeigen in der Siedehitze der Tutti-Finali herrischen Impetus. Ja, Chailly (und Verdi) sind gerade in den hymnischen Final-Ensembles auf der Höhe ihres Könnens.

Ob der Arte-Zuschauer dem Näseln der stechschritthaft skandierenden Arte-Moderatorin Annette Gerlach gewogen ist, bleibt eine Frage des persönlichen Geschmacks.

La Scala Giovanna d'Arco Anna Netrebko

Anna Netrebko bedankt sich für Applaus / Foto: Brescia/Amisano / twitter.com/AnnaNetrebko


Kritik Gounod Faust Staatsoper Berlin: Tatiana Lisnic René Pape Pavol Breslik Simone Young

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Maragerete vor Abendmahlsszenerie / Foto: Monika Rittershaus

Marguerite vor Abendmahlsszene: Dumm gelaufen, wenn man sich auf der falschen Seite des Tisches befindet / Foto: Monika Rittershaus

Ich höre die Wiederaufnahme von Karsten Wiegands Inszenierung der Oper Faust. Komponist: Charles Gounod.

Die Oper ist ja angestaubt vom Lauf der Zeit. Sie war hochberühmt. Wird aber (heute) kaum gespielt. Herablassung sprach dem Werk in Deutschland von je den Wert ab (“Schändung aus dem Geiste der Dummheit”, Adorno, 1932). Ein Ex-Klassiker als Rarität. Ein fremdgewordenes Schönheitswerk.

Erstens. Die Oper ist durchgängig lyrisch gestimmt. Seelentöne. Butterzarte Tragik. Drei Stunden lang. Zweitens. Derbe Komödie überlagert sich mit Sentiment. Stilkreuzungen. Wie in Verdis Maskenball übrigens (selbes Uraufführungsjahr, 1859). Drittens. Es gibt Altmodisches: Soldatenchöre, etc.

Faust Staatsoper / Foto: Monika Rittershaus

Faust Staatsoper Berlin: Blaue Stunde in der Kirche / Foto: Monika Rittershaus

Hauptcharakteristikum der Regie von Karsten Wiegand ist Kühle. Das Bühnenbild (Bärbl  Hohmann) wirkt leergeblasen wie ein Kühlschrank nach der Grundreinigung (Ausnahme: Marguerites kindersüßes Kämmerchen). Die Kreativität der Personenführung bewegt sich an der Null-Grad-Grenze (Ausnahme: Marguerite). Warum verdonnert Wiegand Pape nur dazu, ständig am Bühnenrand rumzulümmeln? Die einfallslosen Soldatenchöre machen mich ratlos. Aber hallo! Es gibt gute Seiten. Wiegand bringt uns die Titelheldin Marguerite nahe. Immer mehr im Laufe der Oper und besonders im Schlussbild.

Schmerzhaft ist die krankheitsbedingte Absage von Krassimira Stojanowa. Sopran Tatiana Lisnic ist guter Ersatz. Sie singt eine amouröse Marguerite mit einschmeichelnder Sinnlichkeit und Tönen des Kummers. Einzig “Il était un roi de Thulé” ist unbefriedigend. Es fehlt ihr vokale Ruhe. Aber sonst hat Frau Lisnic vokale Phantasie und den sehnenden Herzenston, und für die Air des bijoux steht ihr die nötige Beweglichkeit zur Verfügung. Ein charakteristisches Timbre in der Höhe würde den Wert der Stimme bedeutend erhöhen.

Darstellerseitig geht bei René Pape und Pavol Breslik nicht gerade der Punk ab. Herr Wiegand, Ihre Schuld?

Gut ist die Besetzung des jungen Faust mit Pavol Breslik. Ein italienisierender Heldentenor tut hier nicht Not. Bresliks feine Linienführung, an Mozart geschult, sein heller, mit schönem mittlerem Register ausgestatteter Tenor gefallen durchweg. Breslik singt ein suggestiv vibrierendes “Salut! Demeure chaste et pure”. Es ist eine sehr hörenswerte Wiedergabe, ich höre fein austarierte dynamische Akzente, eine nuancierte vokale Linie. Dass er das verfluchte hohe C mit klanglich reduzierter Kopfstimme singt, geschenkt.

René Pape sendet als Méphistophélès Ströme kantabler Bassschwärze in den Raum des Schillertheaters. Die Priesterszene und das balsamische “Reines de beauté de l’antiquité” (V, 2) dürften zu den besten Pape-Momenten ever gehören – neben Gurnemanz und Philipp II.

Marina Prudenskaja steckt in schlecht sitzender Hose und singt mit Feuer-Mezzo einen hoffnungslos verliebten Siébel. Alfredo Daza gibt dem Valentin virile Präsenz und herben Charakter, so dass man aufrichtig bedauern muss, dass Daza lange vor dem Ende der Oper den Bühnentod stirbt. Stephan Rügamer – glänzt nicht als alter Faust. Herr Rügamer wird mir zustimmen, wenn ich sage, dass sein Meistersinger-David eine andere Hausnummer war. Constance Heller ist Marthe Schwerdtlein.

Zu bedauern ist, dass französische Stimmen rundweg fehlen. Sämtlichen Akteuren hört man zwar an, dass sie nicht an der Avenue des Champs-Élysées wohnen. Aber alle klingen wenigstens so, als könnten sie den Namen ohne allzu viel Fehler buchstabieren.

Simone Young fügt sich an der Staatsoper in die Tradition bedeutender Gastdirigenten. Für Gounod findet Young sowohl Klarheit und Sanftmut. Die Tanzmotive – anmutig. Das lyrische Gefühl – bezaubernd. Young hat Gefühl für Timbre und Klang. Das Orchester formt Wellen und Bögen in diskreten Linien. Horn, Klarinette, Flöte haben einnehmende Solo-Momente. Die orgelgrundierte Sakralsphäre der Kirchenszenen scheint uns heute aufgepfropft. Akzeptieren wir sie, wie sie ist. Einziger Fehler: Das Orchester inklusive Solovioline ist viel zu laut bei “Salut! Demeure chaste et pure”.

Dank Simone Young und einem auch ohne Stojanowa sehr guten Ensemble der Sängersolisten sehr hörenswert.


Kritik Berliner Philharmoniker Rattle: Pelléas et Mélisande Peter Sellars

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Pelléas et Mélisande Berliner Philharmoniker Simon Rattle Peter Sellars

Magdalena Kožená und Christian Gerhaher / Foto: Monika Rittershaus / berliner-philharmoniker.de

Kurz vor Weihnachten auf Konsum verzichten? Iwo. Besser Zeit und Geld für was Sinnvolles nutzen. Philharmoniker sind auch Konsum. 

Der Stoff: eine typische Ménage à trois. Zur Geschichte muss man sonst nur so viel sagen: Im französischem Hochadel herrscht Ödnis von Tschechow’schem Ausmaß. Doch das Personal ist feinfühlig wie Flaubert.

Die Musik: zugleich hermetisch und hyperluzide. Der transparenten Ökonomie des Orchesterklangs macht auch das 21. Jahrhundert noch nichts vor.

Simon Rattle beflügelt zu leidenschaftlichem Strömen der Musik. Die Berliner Philharmoniker können heute beides, schimmernde Oberfläche UND dunkle Geheimnisse. Die Posaunen tönen wie uraltes Moos. Aus den Schalltrichtern der Hörner fließt ewiges Quellwasser. Dunkel die Bratschen. Die Trompete träumt von Freud.

Bei den Streichern verdichten sich Legato-Zusammenhänge immer wieder zu undurchdringlicher Hitze. Oh, mon Dieu. Der Schluss von Akt 4 war schon nett.

Peter Sellars inszeniert – ein bissl wenigstens. Sellars tut das solide und ohne der Musik die Schau zu stehlen. Frau Kožená läuft barfuß. Die drei huschenden Dienerinnen sind Schwarze, werden sogar festgenommen! Die ersten Geigen haben tendenziell eher selten einen halbtoten Bariton zwischen den Notenständern liegen. Neonöhren bezeichnen klug die im Raum verteilten Sängerorte. Das war’s mit Sellars. Der erste Akt klingt in der Oper geheimnisvoller. Aber nach der Pause geht endgültig die Post ab.

Wie aus Anlass des jüngsten Gounod-Fausts an der Staatsoper sei die Anmerkung erlaubt, dass keine französischen Sänger zum Einsatz kommen.

Christian Gerhaher gestaltet den empfindsamen Pelléas mit nobel timbriertem Bariton. Bewundernswert die hell aufstrahlende Vollhöhe. In Diktion und Vortrag höre ich kluge Gespanntheit. Indes, dem Bemühen um sauberes Legato steht ein expressives Vibrato entgegen. Das deutet eher auf deutsches Singen denn auf französisches chanter. So verliert das einzelne gesungene Wort ein Stück weit das unverwechselbare Relief.

Magdalena Kožená singt die geheimnisvolle Mélisande. Kožená hat für “Mes longs cheveux descendent jusqu’au seuil de la tour” (Akt 3, Szene 1) einen vibrierenden, leuchtenden Seelenton. In dieser Oper sind alle grundsätzlich unbegabt für Smalltalk, niemand ist dies aber weniger als Mélisande. Kožená dürfte ja eine der wenigen Sängerinnen sein, deren charakteristisches Timbre auch ein Berliner Müllmann nach dem zweiten Feierabendbier auf Anhieb wiedererkennt. Die Höhe der Tschechin klingt zugleich keusch und glutvoll, doch stets instrumental. Ihre Halbstimme versteht Frau Kožená indes angenehm mit melancholischer Innigkeit zu verschatten.

Gerald Finley bemüht sich um den unglücklichen Golaud mit Ausdruck und tonlicher Schönheit. Gesanglich ist Finley subtiler als Gerhaher, näher an den Worten dran, besonders in der Feinabstimmung des Leisen.

Franz-Josef Selig gibt dem fast erblindeten Arkel seine mit allen Wassern der Sängerweisheit gewaschene, berührende Bassstimme. Bislang erlebte ich seine Stimme noch nicht so subtil. Eine schaurig-schattige, große Leistung.

Bernarda Fink ist Geneviève. Der Sänger des Yniold überzeugt mit klarem Kabensopran. Jörg Schneider der Arzt, Sascha Glintenkamp der Schäfer. Der Rundfunkchor Berlin stellt die Chorsänger.

Fazit: Diese Musik ist ein Intelligenztest. Bei Rattle ist das Bestehen garantiert. Gelungener Abend. “Gefühl süper”, wie Franck Ribéry sagen würde.

Aber wenn Sie in Kleinmachnow wohnen, sind Sie erst weit nach Mitternacht zu Hause.


Preview Premiere La Traviata Staatsoper Berlin

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Staatsoper Berlin

Klappt immer, der Flirt-Trick mit dem gehobenen Glas: Abdellah Lasri versucht’s bei Violetta / Foto: Bernd Uhlig / staatsoper-berlin.de

Dieter Dorn inszeniert an der Staatsoper Berlin Verdis Oper La Traviata. Daniel Barenboim dirigiert die Premiere am Schillertheater. In der Titelrolle ist Sonya Yoncheva zu hören. Alfredo singt der junge Tenor Abdellah Lasri. Der italienische Bariton Simone Piazolla verkörpert den Vater Germont. Die aktuelle Kritik lesen sie HIER.

Sonya Yoncheva Facebook La Traviata

Trio mit Traviata: Sonya Yoncheva, Simone Piazolla, Abdellah Lasri / Foto: facebook.com/abdellahlasritenor/

Zum Regieteam zählen neben Dieter Dorn Christiane Zaunmair (Co-Regie), Joanna Piestrzyńska (Bühne), Moidele Bickel und Dorothée Uhrmacher (Kostüm) sowie Martin Gruber (Choreographie).

La Traviata Staatsoper Berlin 2015

Volle Kraft Kissenschlacht voraus: Abdellah Lasri ist voll sauer auf Simone Piazzola / Foto: Berng Uhlig / staatsoper-berlin.de

La Traviata ist eine der meistgespielten Opern Verdis. Die Uraufführung fand am 6. März 1853 im Teatro la Fenice in Venedig statt.

La Traviata Berlin 2015

Sonya Yoncheva vor vollständig verstrumpfhosten Menschen / Foto: Bernd Uhlig / staatsoper-berlin.de

Die weiteren Termine für La Traviata an der Staatsoper Berlin in dieser Spielzeit sind der 22., der 25., der 27. und der 31. Dezember 2015.

La Traviata Staatsoper Berlin Premiere 2015

Bannt böse Geister: Sonya Yoncheva / Foto: Bernd Uhlig / staatsoper-berlin.de

Die Neuproduktion von Verdis Oper ersetzt die Traviata-Inszenierung von Peter Mussbach, in der unter anderem Christine Schäfer als Violetta Valéry Erfolge feierte.

 Premiere La Traviata 2015 Staatsoper Berlin

Feste parisiane, feste verdiane: Premiere La Traviata 2015 / Foto: Bernd Uhlig / staatsoper-berlin.de


Kritik La Traviata Premiere Berlin Barenboim: Sonya Yoncheva ist Traviata

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Premiere 19. Dezember Staatsoper Berlin Daniel Barenboim

Strumpfhose über’m Kopf? Nicht mit mir: Sonya Yoncheva ist La Traviata / Foto: Berng Uhlig / staatsoper-berlin.de

Dieter Dorn inszeniert La Traviata. Yoncheva, Lasri, Piazolla singen.

Alter Regisseur, junge Sänger. Das kann gutgehen.

“La Traviata ist keine Oper der Liebe und des Lebens, sondern eine Oper des Todes”, so der italienische Dirigent Riccardo Muti.

So sieht das auch Dieter Dorn. Es gibt einen Einfall in dieser Inszenierung. Leiber, mit Gazestoff umspannt, formen einen Totenschädel. Doch nun löst sich der Schädel auf, die Leiber nahen der schwindsüchtigen Titelheldin als stumme Memento-Mori-Mumien. Ein Schelm, wer dabei “Aha, Sasha Waltz!” denkt. Das ist die (optisch-gedankliche) Grundidee. Der zweite Einfall, ein Sandsack, der wie eine schlappe Bratwurst über dem einzigen Bühnenelement, einer Spiegelwand, hängt, ist schon schlechter. Dem Sandsack entrieselt Sand. Fixe Zuschauer dürfen jetzt “Sanduhr!” denken. Gäste des Schillertheaters, die über Empathie verfügen, seufzen “Arme Violetta!” So weit, so Dorn.

Es ist ja bei weitem nicht alles Larifari, was der Zuschauer zu sehen bekommt. Die Kostüme – fesch. Die Sterbeszene – anrührend. Aber das Bühnenbild – steril. Die Personenführung – hausbacken (Halt – nicht im dritten Akt!). Hätte es die gar nicht so schlechte, alte Mussbach-Inszenierung nicht auch getan?

Doch es gibt eine Raison d’être dieser Inszenierung, zumindest eine singende. Sie heißt Sonya Yoncheva.

Die 33-jährige Bulgarin singt eine Violetta, die für die emotionalen Achterbahnfahrten dieser intensivsten Frauenfigur Verdis neben einer langen Mähne und großen Gesten vor allem Kraft, Brillanz und strahlende Bravour mitbringt. Da macht es nichts, dass mancher Furor (noch) gewollt klingt. Yonchevas Stimme ist ein Sopran mit voller Tiefe und satter, dunkelrot crescendierender Leuchtkraft, im Piano dynamisch abgestuft, im Forte außerordentlich souverän. Registerunterschiede sind kaum zu hören, die Attacke ist eierschalenzart. Das ist nicht von schlechten Eltern. In punkto Verzierungen ist Frau Yoncheva nicht ganz Diva-reif. Aber ihr wirklich einziges Problem an diesem Abend: Sie singt in der Sterbeszene so schön, dass Schwindsucht als Todesursache schwer vorstellbar scheint – darin einer gewissen russischen, sogenannten Starsopranisten nicht unähnlich, die einst an der MET als lungenkranke Mimì in La Bohème ähnliche Probleme mit der Glaubwürdigkeit hatte.

Traviata_09.jpg

O quanto, quanto amore: Abdellah Lasri und Sonya Yoncheva / Foto: Berng Uhlig / staatsoper-berlin.de

Der gleichfalls 33-jährige, hochbegabte Abdellah Lasri (Alfredo) schrammt hart am Eklat vorbei. Der erste Stimmabbruch schleicht sich in der ersten Szene ein. Kurzes Aufhorchen, aber gut. Doch bald wird klar, dass dies kein leichter Abend wird. Lasris Tenor trägt heuer weder im Piano noch in der Vollhöhe zuverlässig. Vieles, zu vieles singt er mit Halbstimme. Dann: Der 2. Akt, 1. Bild ist purer Stress für ihn (und für mich). Was ist los? Lampenfieber, allzu viel Stimmstress während der Proben, Indisposition? Dabei hat der junge Abdellah Lasri eine leichte, reich timbrierte Tenorstimme von frischem Sinnenzauber. Lasris Linienführung scheint noch nicht ganz flügge, die Tonhöhenfindung zu Beginn unsicher. Lasri kehrt zu den Festszenen im Palast der Flora gekräftigt zurück – gut. Den dritten Akt absolviert er ordentlich, doch auch hier ist viel Halbstimme zu hören, viel schwankende Dynamik, ständiges Singen auf Sicht. Das ist für eine Premiere eigentlich unakzeptabel. Doch ich hoffe, Herr Lasri unternimmt morgen einen langen Spaziergang im Tiergarten, genießt den frühlingshaften Berliner Winter, diskutiert abends im Einstein mit Barenboim die Fußballergebnisse des Wochenendes und singt in den folgenden Vorstellungen einen kraftvollen Alfredo. Am Ende ehrliche Buhs und aufmunternde Bravi.

Simone Piazolla Vater Germont Traviata Staatsoper Berlin

Familienaufstellung inklusive Singübung: Simone Piazolla outsourct Sonya Yoncheva aus der Familie raus / Foto: Bernd Uhlig / staatsoper-berlin.de

Für Vater Germont, der sich vom beinharten Entscheider zum zaudernden Mitfühler wandelt wie einst Saulus zum Paulus, bringt Simone Piazzola, bebrillt und im gut sitzenden Anzug, seinen hellen, feingekörnten Bartion vorteilhaft ins Spiel. Besonders schön ist die strömende Forte-Höhe bei fokussierter Tongebung und nicht allzu großer Stimme. Wenn der 30-jährige Piazzola nur die Übergänge von leise zu laut und von laut zu leise geschmeidiger gestalten würde!

Annina ist bei Katharina Kammerlohers klangherbem Mezzo (der über einen kleinen, hochinteressanten Schuss Essig vefügt) gut aufgehoben. Jan Martiník singt den Doktor Grenvil. In den weiteren Rollen sind Florian Hoffmann (Gastone), Grigorij Schkarupa (D’Obigny), Cristina Damian (Flora) und Dominic Barberi (Douphol) zu hören.

Daniel Barenboim dirigiert eine flüsterleise Traviata, die wie gemacht scheint für Verdi-Gourmets. Die Streicher – lachszart bis zur Tranzparenz. Die Holzbläser – schmerzlich süß. So viel Piano-Traviata ist selten. Das berührt. Zur Partysause (1. Akt) serviert die Staatskapelle hingetupfte Rhythmus-Delikatesse. Genial. Barenboim wandelt in hohem Alter auf neuen Verdi-Pfaden.

Bravi für Yoncheva und den Rest der Sänger. Einige Buhs für Lasri. Für Dorn halten sich Buhs und Bravi die Waage. Doch nicht allzu langer Applaus.

Fazit: OK. Aber die alte Mussbach-Inszenierung hatte mehr cojones.



Kritik Yefim Bronfman Prokofjew Klaviersonaten

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Über den Rang Yefim Bronfmans besteht kein Zweifel.

Bronfmans Anschlag spaltet Baumstämme.

Für Prokofjews stürmisches Genie (heute: die Klaviersonaten Nr. 5 bis 7) setzt Bronfman seine überwältigende Meisterschaft ein.

Prokofjews Beiträge zu der altehrwürdigen Form der Sonate macht der Pianist im Schillertheater zu Musterbeispielen musikalischer Logik. Der Mann weiß, was Übersicht ist. Er ist unfähig zu Nebensächlichkeiten.

Die mit Bronfmans Werdegang verbundenen Künstler umschreiben doch einen Bezirk, in dem man Bronfmans Stil lokalisieren kann: Rudolf Serkin ist ein Lehrer, Emil Gilels ein Bekannter des Vaters. Das nur nebenbei.

Bronfman geht in einer Art linkischer Flottheit zum Flügel. Die kleine Geste der Rechten während der Verbeugung legt nahe, dass es sich der Künstler als Ehre anrechnet, im Schillertheater spielen zu dürfen.

Bronfmans Zugaben sind Romanze und Finale aus Robert Schumanns Faschingsschwank aus Wien.


Kritik Silvesterkonzert 2015 Berliner Philharmoniker: Anne-Sophie Mutter

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Berliner Philharmoniker Silvesterkonzert 2015.GIF

Vorne blau, hinten Rattle: Silvesterkonzert 2015 der Berliner Philharmoniker / Foto: berliner-philharmoniker.de

Silvesterkonzert 2015, Berliner Philharmoniker, Simon Rattle.

Das Programm ist à la française.

Rattle wäre nicht Rattle, wenn er nicht echte Knaller mit echten Raritäten mixen würde, frei nach dem Motto Ozzy Osbornes: “Man weiß nicht, was kommt.”

Rarität I: Zuerst kommt Emmanuel Chabriers L’Étoile-Ouvertüre, die Erinnerungen an die entzückende Produktion an der Staatsoper mit Simon Rattle am Pult weckt.

Dann Camille Saint-Saëns’ Introduction et Rondo capriccioso. Anne-Sophie Mutter absolviert das Stück mit der ihr eigenen Souveränität, einer Art hochherrscherlichen Künstlerselbstherrlichkeit. Die kalte Leidenschaft Mutters trifft auf die heiße Leidenschaft Rattles (really faszinierend – das gab’s schon mal beim Dvořák-Violinkonzert).

Da ist es, das Pendeln zwischen heftigen Akzenten – hat das nicht etwas von metaphysischem Kruppstahl? – und eiskalt ausgespieltem geigerischem Temperament. Dieses Pendeln ist Anne-Sophie Mutters Markenzeichen – neben dem haute-coutürigen, schulterfreien Kleid. Es ist ein selbstherrlich-verschlossenes Künstlertum um Anne-Sophie Mutter. Da ist etwas wie verbissene Tüftelei. Wie klösterliche Hyper-Konzentration. Das alles fordert Kühnheit vom Hörer. Und macht Mutter so unvergleichlich. Sehr gut.

Rarität II: Massenets anmutig verstaubte Suite Le Cid.

Dann Ravels Geigenschnickschnack-reiche Tzigane, von Anne-Sophie Mutter ernst wie Bach dargeboten.

Rarität III: Francis Poulenc Les Biches sind federleichte Magerkost von abgefeimter Diskretheit. Die Philharmoniker spielen die Ballettsuite mit transparentem Klangbild. Im lebendigen Klang dürfte die Interpretation unübertroffen sein.

Dieser Ravel-Valse ist ein Werk Rattles. Das Orchester liefert porentief präzisen und schimmernd bewegten Tuttiklang. Der vertrackt ausschwingende Kontur hat Ekstase, die tollkühne Silhouette der Schlusstakte hat Mahler’sche Tiefe.

Als Zugabe hört man “supergute Rutschmusik” (Rattle), Brahms’ ersten Ungarischen Tanz.

Auf RBB gehört. Die Moderation von Andreas Knaesche ist der durch Annette Gerlach auf Arte vorzuziehen.


Kritik Neujahrskonzert 2016: Wiener Philharmoniker Mariss Jansons

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Neujahrskonzert Wiener Philharmoniker 2016

Neujahrskonzert Wiener Philharmoniker / Foto: Richard Schuster / wiener-philharmoniker.at

1. Jänner 2016.

Als Berliner hat man es am Neujahrsmorgen nicht leicht. Katerstimmung, polare Kälte, der Bäcker um die Ecke ist zu.

Aber es gibt das Neujahrskonzert, ORF sei dank.

Das Schöne am Neujahrskonzert ist ja die österreichische Folklore. Herrlich. Wo redet man sonst mit Respekt von den “österreichischen Floristen”? Als die Moderatorin in charmantem Wienerisch das “Wiener Wurstel-Prater” erwähnt, geht einem das Herz auf.

Walzer, Polkas und Galopps scheint es in Wien ja zu Tausenden zu geben. Da ist es verwunderlich, dass die Trattenbacher Taschenfeitel-Erzeugung, der Wiener Dudler und die Wiener Kaffeehauskultur zum österreichischen Weltkulturerbe gehören, nicht aber der Wiener Walzer.

Aber Schwammerl drüber und Musik gehört.

Das Programm ist wienerisch-europäisch. Da ist die zarte Silhouette der Polka francaise – in Österreich schreibt man française francaise. Da sind die harmlosen, lautmalerischen Scherze der Vergnügungszug-Polka. Da sind die gepflegten Streicherxtasen in “Einer Nacht in Venedig”. Da ist das kecke rhythmische Profil von “Ausser Rand und Band” (Das “ß” gebraucht der Wiener scheint’s nur bei Strauß). Und “Sphärenklänge” ist ein Walzer mit tollkühner Skyline. Das versteht man überall, sogar in Berlin.

Doch es gibt noch weitere Österreichiana, von denen man ohne Neujahrskonzert nichts wissen würde. Der alles andere als luftig-leichte Walzer “Weaner Madl’n” sagt nichts Gutes darüber aus, wie es um Temperament und Silhouette der Madln im wienerischen 19. Jahrhundert stand.

Mariss Jansons: Gut schaut er aus. Jungenhaftes Grinsen, das Haar nach hinten gegelt. Wer eine spezifische Jansons-Komponente sucht, kann sie heuer im glasklaren, rhythmisch abgeklärten Orchesterklang suchen. Na, ich fand die fesche Biegsamkeit von Welser-Möst 2013 oder die schlawinerhafte Herzenswärme von Barenboim 2014 interessanter.

Der Werbefilm zu Salzburg in der Pause, Mannmannmann. Aber des is g’hupft wie g’hatscht. Den Österreichern verzeiht man derartige No-Gos gerne. Wia ma’s mocht, is’ vakehrt, denkt jetzt der Salzburger Tourismusverband, wenn er das hier liest.

Zuletzt der kultivierte Krawall des Kaiserwalzers. Do spüt d’Musi! Do schwinden jedem Zuhörer die Sinne. Zu den Wienern Philharmonikern kann ich sagen, dass die aktuelle Brillenmode im männlichen Teil von Wien noch nicht angekommen zu sein scheint.

Und am Fagott Sophie Dartigalongue! Die haben die Wiener Philharmoniker frisch von den Berlinern geklaut. Doch halt, ned deppert wern, kein Zwist am ersten Tag des neuen Jahres.

Schön war’s.


Anna Netrebko heiratet Yusif Eyvazov

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Наилучшие пожелания: Anna Netrebko ist fest in aserbeidschanischen Händen / Foto: twitter.com/RusBotWien

Anna Netrebko ist fest in aserbeidschanischen Händen / Foto: twitter.com/RusBotWien

Anna Netrebko: 44.

Yusif Eyvazov: 38.

Anna Netrebko: Russland.

Yusif Eyvazov: Aserbeidschan.

Er sagt: “Da”.

Sie sagt: “Ja”.

Anna Netrebko: “…schwebte in einem Traum aus Tüll zum Altar” (Bunte).

Yusif Eyvazov: “…grauer Mantel mit Pailletten-Applikationen” (Bunte).

Ihre Klamotten: von Irina Witjaz.

Seine Klamotten: von Maximilian Mucska.

Die Hochzeit: “bühnenreif inszeniert” (Stern).

Anzahl der Gäste: 180 (“nur die engste Familie”).

Ort: Wien.

Die Ringe: Roségold, von Chopard.

Fortbewegungsmittel: Fiaker plus 15 Kutschen für die Gäste.

Zu Essen: Garnelen, Lachstartar, Rindfleisch, Sellerie sautiert, Sorbet.

Wein: Schwarzböck, Niederösterreich.

DJ: Dimitri Olenin.

Geladene Kollegen: Piotr Beczala, Ildar Abdrazakow.

Sonstiges: mit Feuerwerk.

Netrebko-Sohn Tiago – Vater: Erwin Schrott – war anwesend.


Rheingold Staatsoper Wien 2016: Adam Fischer. Kritik

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Es geht doch nichts über etwas Musik am Sonntagabend.

Live-Stream aus der Staatsoper Wien.

Adam Fischer dirigiert. Es ist der Bechtolf-Ring, Premiere 2009.

Wotan Tomasz Konieczny wandelt im weißen Doktormantel über die Staatsopernbühne. Mit blauem Auge statt Augenklappe: ein Göttergate mit Schlägervergangenheit. Koniecznys Wiener Wotan ist egoistisch und verschlagen und nur selten von Nachdenklichkeit geprägt. Die Simme ist hell, hat ein kurzes Vibrato. Fülle der Diktion oder Dämonie gehören nicht zu Koniecznys Stärken. Statt selbstverständlicher Würde gebietet der Sänger über eine Würde, die er sich mit energischer Diktion in jeder Phrase neu erkämpft.

So gestaltet Konieczny die Höhepunkte unter großer Anspannung deklamatorisch-heroisch. Es gibt ein herrisch-energisches “Auf, Loge! hinab mit mir!” In “Abendlich strahlt” vermisst man die strömende Ruhe. Aber auch gut, stattdessen gefällt die nervöse Gespanntheit. Koniecznys forciertes “So grüß’ ich die Burg” sorgt für einen kurzen Stimmabriss. Die langsame Entfaltung “Von Nibelheims nächt’gem Land” liegt ihm nicht. Konieczny war bei der Premiere Alberich, unter Rattle und Tate dann schon Wotan.

In der zweiten Szene stiehlt die Fricka von Michaela Schuster Konieczny vokal und darstellerisch die Schau. Schusters Fricka ist sehr präsent, ihr sprechendes Mienenspiel ein Hingucker (wenn’s auch nicht in Bechtolfs Magerästhetik passt). Bekanntlich ist Frau Schuster keine Musterbeispiel instrumentalen Singens. Weiches Abphrasieren ist nicht ihr Ding. Ein schweres Vibrato gehört bei ihr dazu. Doch ihr Stimme besitzt Durchsetzungs-und Strahlkraft. Ein gestisches Singen ist ihr zu eigen, in dem Kraft vor psychologischer Deutung geht. Kräftige Spitzentöne hören sich zersplittert an, das kennt man ja von ihr. Die Halbstimme bei “Um des Gatten Treue besorgt” klingt schwach.
Caroline Wenborne ist als Freia ein wohlklingendes, blondes Dickerchen.

Fasolt und Fafner staksen in Gewändern über die Bühne, die mit Lavaknödeln behängt scheinen. Fasolt Ain Anger besitzt eine schöne Höhe und eine fahle Tiefe. Zur kernigen Bassstimme passt die klobige, muskelbepackte Phrasierung. Den elegischen Zauber, den Thomas J. Mayer “Das Weib zu missen, wisse, gemutet mich weh” und “Freia, die schöne, schau’ ich nicht mehr” 2015 in München zu geben wusste, trifft Anger nicht. Der Fafner von Sorin Coliban hat eine schwärzere Färbung als Anger und singt ähnlich kraftvoll.

Boaz Daniel ist ein kantabler Donner, Jason Bridges ein lyrisch, wenn auch nicht elegant singender Froh. Anna Larsson fährt per Bühnenaufzug auf und ab (Mein Gott, wie langweilig) und produziert als Erda schöne leise Stellen.

Norbert Ernst macht den wunderbar gespielten Loge mit lyrischem Tenor, androgynem Rothaar und schöner Phrasierung zu einer der Hauptfiguren. Er hat die Leichtigkeit, die bei Loge dazugehört. Die Höhe leuchtet hell. Die Diktion ist angemessen. Ernst verzichtet auf karikierende Überdeutlichkeit. Eine sehr gute Leistung.
Jochen Schmeckenbecher, in der Rheintöchterszene ein schmerbäuchiger Alberich, in der Nibelheimszene dessen autoritäres Spiegelbild, macht durch intensives Singen auf sich aufmerksam. Bei aller verlebendigten Deklamation ist das Anschleifen von Tönen (hoch und runter) störend, was beispielsweise die Wirkung des wilden “Bin ich nun frei?” beeinträchtigt. Der Verfluchung des Rings fehlt die eherne Wucht. Deklamatorisch verformte, hektische Akzenthöhepunkte (“so verfluch’ ich die Liebe”) trüben das Bild zudem. Außerdem fällt Schmeckenbecher bisweilen ins Rede-Singen.

Herwig Pecoraro ist ein wendiger Mime, der sehr zufrieden stellt.

Die Rheintöchter.

Zoryana Kushpler Rheingold Wien 2016

Zoryana Kushpler im Wiener Rheingold / Foto: Lena Kern / zoryana-kushpler.de

Die Woglinde Andrea Carroll, Besitzerin eines gertenschlanken, höhensicheren Soprans, ist bei der Wortprägung schwach. Rachel Frenkel als Wellgunde gebietet über eine spitze Aussprache, ein flackerndes Vibrato und einen anglophonen Akzent. An der Staatsoper Berlin bin ich nie richtig mit ihr warm geworden. Dafür deklamiert Frenkel lebhafter als Carroll. Flosshilde Zoryana Kushpler gefällt durch vorsichtiges Vibrato und klangvolle Höhe. Ein Minus: die gutturale Aussprache.

Und im Graben? Adam Fischer dirigiert mit sparsamer Gestik und rhythmisch genau. Das Orchester dankt es mit weichem und detailreichem Spiel. Fischer unterschlägt nichts. Der Kontur der Motive ist vorzüglich hörbar – Beispiel: das Rheintöchtersangmotiv bei “Heiajaheia! Heiajaheia!” Sehr sorgsam entwickelt werden die zur zweiten Szene einleitenden Ring- und Walhallmotive im Blech. Zügig startet Fischer in die dritte Szene. Die honigglänzenden Geigen wetteifern mit satter Hornpracht (schön die Walhall- und Gewittermotive). Und schön, wie die Streicher beim Logemotiv flirren. Und prächtig die Schlussapotheose.

Sven-Eric Bechtolfs Regie ist ein Trauerspiel. Bechtolf arrangiert für das Ring-Vorspiel einen kühlen Personen- und Szenenreigen. Die Lichtregie setzt auf blau-rot. Die Bühne zeigt Rückriem-Blöcke, erratisch verteilt. In Nibelheim werden scheinbar Menschen zusammengebaut. Wieso, weshalb, warum? Kurios, dass Bechtolf peinlich genau Wagners Anweisungen folgt. So kommt es, dass eine mit allen Wagner-Wassern gewaschene Lichttechnik die selten bis nie gezeigte Regenbogenbrücke der letzten Szene hinzaubert. Die Personenführung ist statisch bis wenig einfallsreich.

Es ist immer interessant, wie die Regie Alberichs Tarnhelmszene löst. Heuer sieht der Zuschauer einen bühnenhohen Videoeinspieler, der eine Schlange zeigt. Gähn. Lächerliches: Fafner prügelt Fasolt symbolisch mit einem Stöckchen tot. Damit bekäme man keine Katze tot. Und so was von out: Erda und Rheintöchter als stoffbehängte Damen. Das war schon in den Siebzigern unmöglich.

Loge, Alberich und Wotan bekommen am meisten Applaus. Für Adam Fischer eine kurze, aber kräftige Bravo-Salve.


Kritik Walküre Staatsoper Wien Adam Fischer: Linda Watson Christopher Ventris Ain Anger Waltraud Meier

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Walküre Wien Walküren Akt III

Wien, wie es leibt und lebt: Fesche Walküren machen Jagd auf Anzugträger / Foto: staatsoperlive.com

Live-Stream Die Walküre, Staatsoper Wien.

Man muss nicht unbedingt annehmen, dass Sven-Eric Bechtolfs Regie haarsträubend originell ist. Sie ist solide, etwas langweilig und funktioniert wunderbar. Das Bühnenbild im ersten Akt gefällt mir: Tischgruppe um Baum.

Walküre Wien 2016 Linda Watson Brünnhilde Waltraud Meier Sieglinde

“Siegmund! Sieh auf mich!”: Christoper Ventris stehend, Waltraud Meier liegend, Linda Watson kniend / Foto: staatsoperlive.com

Christopher Ventris: Dieser Siegmund ist halb wettergegerbter Kapitän, halb Womanizer. Die Stimme ist hell, Ventris phrasiert gut. Zwischenatmer sind häufig. In Akt I, 1 singt Ventris natürlich und wortverständlich. “Winterstürme” gelingt gut. “Nächtiges Dunkel senkt sich” singt er mit gebremster Emotion. Am Ende von Akt I kündet eine streifige Höhe von Überanstrengung.

Waltraud Meier: Sieglinde. Es ist schon gut, wie Frau Meier “Der Männer Sippe” auf dem Küchentisch stehend Ventris ansingt und im Angesicht von Ventris’ lyrischen “Winterstürmen” ausflippt vor Glück. Man hört’s: Silben werden stärker hervorgestoßen als früher. Im Brustregister passieren Stimmabbrüche. Doch die A’s haben im ersten Akt durchweg Kraft und Leidenschaft. Und die G’s und das A’s in “hehrstes Wunder” klingen so sehrend wie eh und je.

Staatsoper Wien: Walküre Adam Fischer Applaus Ende Akt II

Staatsoper Wien Walküre: Applaus nach Akt II / Foto: staatsoperlive.com

Ain Anger: Hunding ist ein Schrank von Mann in Filzkleidung. Dieser Hunding sieht wie Zlatan Ibrahimovic aus. Angers Hunding ist die Finsterkeit in Person. Sein Bass ist mächtig. “Fort aus dem Saal!” kann man kaum drohender singen.

Tomasz Konieczny: Der Pole geht als Wotan ins Rennen. Koniecznys Wotan zeigt zwei Seiten. Zum einen bietet er als Wiener Wotan ein intelligentes und emotional komplexes Porträt. Seine Stimme ist kernig, hell, herb und biegsam. Lyrische Passagen wie “da labte süß dich selige Lust” deutet Konieczny radikal menschlich.

Zum anderen ist da die fehlende Ruhe und Wucht, um die von Proust’scher Beredsamkeit gefüllten Monologe im zweiten Akt zu bewältigen (Da ist auch Adam Fischer nicht ganz auf der Höhe). Hier ist Konieczny nervös. Schade auch, dass er dazu neigt, deklamatorische Energie mehr zu markieren als zu singen. Kleines Manko am Rande: In den raschen Partien ist der Bassbariton manches Mal näher am Parlando als am Singen.

“Der Augen leuchtendes Paar” ist eine eminente Leistung, ohne (noch) die berührende Größe von Wolfgang Kochs Leistung zu erreichen. Das F in “nur eines will ich noch: das Ende!” steht ihm problemlos zur Verfügung.

Mit Adam Fischer Dirgient: Walküre Wien Applaus Ende Akt III

Fischer, Meier, Konieczny, Watson und acht Walküren: Schlussapplaus Akt III / Foto: staatsoperlive.com

Linda Watson: Watsons Brünnhilde ist eine reife Dame von imposanter Erscheinung. Ihr langgedienter Sopran hat jenes ehrwürdige Alter erreicht, da alle Farben monochrom sind. Die Textur der Stimme ist blitzblank gescheuert. Über dem System flackert die Stimme wie eine Glühbirne mit Wackelkontakt. In diesem Bereich sind Vokale mehr Wunschdenken als Realität. Über Watsons Hojotoho-Rufe breite ich den Mantel des Schweigens.

Doch “Der diese Liebe mir in’s Herz” singt sie mit klarem, leuchtendem Piano. Und schließlich genügt sie den Ansprüchen der Partie. Sie hat Kraft für den dritten Akt und vermag das Fortissimo-Orchester mit gleißenden Spitzen zu dominieren.

Watsons Erscheinung leidet unter unglücklicher Kostümierung (Kostüme Marianne Glittenberg). Ihr Mantel trägt Epauletten aus Glitzerpuscheln. Das funkelnde Paillettenshirt flößt in der Todesverkündung keine Ehrfurcht vor dem Tod ein.

Michaela Schuster ist eine theatralische Fricka mit vokalem Aplomb.

Walküre 1. Akt: Waltraud Meier Sieglinde und Christopher Ventris Siegmund

Waltraud Meier sagt Christopher Ventris, was Sache ist / Foto: staatsoperlive.com

Unerwarteter Weise wartet die Walkürenszene (Akt III, 1) mit Ironie auf. Eine Rasselbande pferdevernarrter Wunschmädls macht Brünnhilde und Sieglinde das Leben schwer. Es singen Regine Hangler (Helmwige), Margaret Plummer (Waltraute), Hyuna Ko (Ortlinde), Ilseyar Khayrullova (Grimgerde), Ulrike Helzel (Siegrune), Caroline Wenborne (Gerhilde), Carole Wilson (Schwertleite) und Isabel Seebacher (Rossweiße).

Ein Buh nach Akt I. In der zweiten Pause übt die Basstuba das Vertragsmotiv.

Adam Fischer: Er dirigiert genau, fast lyrisch, mit gutem Ohr für die gleitenden Streicherschichten, mit gutem Gefühl für die ausdrucksmäßigen Prozesse sowie dynamisch sehr variabel. Straff ohne Schwere ist der erste Aktschluss. Es ist ein Schuss Karajan in Fischers Walküre.

Das Wiener Staatsopernorchester: Ein Labsal ist die allgegenwärtige Wärme der Streicher, die sich bis zu wächserner Hitze steigern kann. Abgründig schön gelingt das “äußerst zart” der Bratschen in der Todverkündungsszene. Manche Fanfaren des Blechs wirken trocken – Fischer will es so. Der Walkürenritt klingt nach Ringelpiez. Der Schluss des dritten Aktes klingt wegen der Staccato-Achtel der Piccoloflöten wie Minimal Music. Die Kulminationsstellen haben nicht Barenboims herbe Leidenschaft, nicht Thielemanns goldene Massivität, nicht Rattles Wucht, nicht Kirill Petrenkos Schärfe. Dem Schluss fehlt die zusammenschließende Gewalt. Das kann Barenboim am besten.

Dennoch eine gute Walküre.

Zwei einsame Buhs beim x-ten Applaus, ich nehme an für Watson (oder für Fischer).


Kritik Berliner Philharmoniker Thielemann: Pollini Chopin Klavierkonzert Nr. 1, Strauss Intermezzo

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Die zweite Hälfte macht mehr Spaß.

Pollini. Ein Wort, tausend Erinnerungen.

Heuer wird Maurizio Pollini den Erwartungen nur teilweise gerecht. Pollinis eröffnende Akkorde zersplittern spröde. Schnelle Skalen (1. Satz nach Thema 2, Schluss des Finale) klingen verwaschen. Die messerscharfe, schattenlose Brillanz des Pollinispiels früherer Tage ist passé. Setzt man höchstes Pollini-Niveau, scheint Pollini dem Chopinkonzert technisch nicht mehr gewachsen.

Weitere Beispiele: Das Thema des Finale klingt seltsam vernuschelt. Hat Pollini keine Lust mehr auf Klarheit? Die Linie, die schon bei den Mozartkonzerten der vergangenen Jahre (Abbado, Thielemann) von nonchalanter Sprödheit war, handhabt Pollini noch lässiger, noch freier.

Das ist Altersstil.

Freilich gibt es Großartiges, Einzigartiges. Wie Pollini das zweite Thema im Nachsatz so weit lockert, als kümmere es Pollini nicht mehr, dass zweitausend Leute zuhören. Pollini strebt da einer neuen Einfachheit zu. Wie der Nachsatz des dritten Themas derart freien (nicht übertriebenen! nicht willkürlichen!), im Grunde holzschnittartigen Temporückungen unterworfen wird.

Bei aller phasenweisen (Welt-)Klasse ist es ein nachdenklich stimmender Pollini-Abend. Die Zeiten, da Pollini als Zugabe die Polonaise op. 53 in furchterregender Differenziertheit hindonnerte, sind vorbei.

Christian Thielemann lässt Chopins lyrische Themen honigweich fließen. Das Tutti ist breit, daher das Thema im ersten Seit recht behäbig, das energische Schlussgruppenthema indes feurig.

Schumann, Genoveva-Ouvertüre: Auch hier herrscht symphonisch-gesangliche Breite. Langsames Tempo in der Einleitung, flottes im Hauptteil. Abbado betonte einst die fließende Lyrik. Rattle die packende thematische Vernetzung. Thielemann bringt die glänzend bewegte Buntheit heraus.

Aribert Reimann, Sieben Schumann-Fragmente: Bei solchen Stücken ist man dankbar, dass die Berliner Philharmoniker spielen. Das Stück kennt große Ausdrucksmomente: Zu Beginn türmen sich die Geigen sich wie eine hyperkomplexe Regenwand. Großartig die verrätselten Blechattacken. Die Holzbläser-dominierten Teile (3, 4, 6) scheinen mir konventioneller. Uraufführung 1988.

Strauss, Zwischenspiele aus der Oper Intermezzo, Uraufführung 1924. Thielemanns Programmen ist von jeher ein augenzwinkernder Snobismus nicht unbekannt. Die Berliner Philharmoniker reagieren beflügelt. Dieser Strauss verströmt sich mit glühend-konzentrierter Intensität. Da ist ein sinnlich-filigranes Linienspiel, da sind die süßen, feinen Streicher, da ist deren geschmeidiges Mitgehen. Glenn Gould wäre heute Abend ausgeflippt.

Ein hervorragendes Konzert.



La Bohème Staatsoper Berlin: Domingo Hindoyan, Sonya Yoncheva, Joseph Calleja, Anna Samuil

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Sonya Yoncheva Joseph Calleja / La Bohème Staatsoper Berlin

Gyula Orendt, Domingo Hindoyan, Joseph Calleja, Sonya Yoncheva, Anna Samuil, Jan Martiník, hinten Arrtu Kataja / Foto: https://www.facebook.com/sonyayonchevaofficial/

Der Abend ist ein Glücksfall.

Die Sänger sind gut, der Dirigent ist gut. Das Orchester hat Lust. Über die Schwächen der Inszenierung von Lindy Hume kann man hinwegsehen.

Sonya Yoncheva stellt eine glaubhafte Mimì dar. Yoncheva hat als Mimì noch mehr Schmackes in der Kehle als als Violetta. Die flutenden Spitzentöne gehören zum Besten, was es derzeit gibt. Sie haben Farbe, Klang, Drama, sie sitzen, und das Wichtigste, sie haben emotionale, spontane Intensität. Das Piano ist anrührend, die Höhe von hinreißender Kraft.

La Bohème Staatsoper Berlin Sonya Yoncheva Joseph Calleja.GIF

Sonya Yoncheva und Joseph Calleja / Foto: https://www.facebook.com/sonyayonchevaofficial/

Joseph Calleja verfügt als charmanter, jungenhafter Rodolfo über einen robusten, hellen und schlanken Tenor. “Che gelida manina” singt Calleja unruhig, wenn auch elaboriert und mit energischer Klangentfaltung. Auch später sind einzelne Phrasen ohne elegische Glut genommen. Auf Hochtouren kommt Calleja nach der Pause spätestens in jener gloriosen Szene mit Yoncheva (“Donde lieta uscì”).

Anna Samuil ist eine dramatische, extrovertierte Musetta. Arttu Kataja gibt dem Marcello sein schlaksiges, aufragendes Erscheinungsbild. Der Mann hat eine gute Entwicklung genommen, er hat viel Gefühl für Phrasen. Gyula Orendt wartet als Schaunard mit akrobatischen Stunts auf, Jan Martiník ist Colline. Altmeister Olaf Bär singt Benoît/Alcindoro. Miloš Bulajić ist ein Parpignol mit schneidend hellem, weißfarbigem Tenor.

Domingo Hindoyan war die Überraschung des Abends (für mich jedenfalls, ich habe ihn eine Weile nicht gehört). Hindoyan dirigiert mit leidenschaftlicher Intensität, mit Witz, mit inspirierter Wärme. Das ist spontan und dennoch aufgeladen mit vielen hingebungsvoll geschilderten Details. Puccinis Oper ist ja ein bittersüßes Meisterwerk voller Polyphonie, voller verschwenderischer Melodiezüge, wenn auch von relativ bescheidener Länge, und mit einer Vorliebe für jene imponierende, hochkomplexe Sinnlichkeit, die wir in Opern so lieben.

Das Orchester hat einen sehr guten Abend, nicht zuletzt die Geigen.


Ariadne auf Naxos: Brenda Rae, Adrianne Pieczonka, Roberto Saccà

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Brenda Rae Zerbinetta, Marina Prudenskaya Komponist

Hans Neuenfels inszeniert Ariadne auf Naxos: Marina Prudenskaya und Brenda Rae / Foto: Monika Rittershaus / staatsoper-berlin.de

Ariadne auf Naxos.

Die Richard-Strauss-Oper ist eine der ersten Anti-Opern. Kammerspiel, kleine Besetzung, selbstreferenzielles Libretto – all das war 1912, 13, 14 gewitzte, gewagte Avantgarde.

Regisseur Hans Neuenfels, der Opernschreck vom Dienst, schüttelt eine konzentriert-heitere, altersweis(s)e Ariadne aus dem Ärmel. Neuenfels lässt die regietheaterliche Brechstange in der Hosentasche. Nobel wie er ist, macht er stattdessen aus Strauss’ Ariadne ein dezentes Lehrstück über Liebes-Einsamkeit und tödlichen Kunsternst. Auf der Bühne strahlen Wände und Ariadnes Chaiselongue im Kampf um das blendendste Weiß um die Wette (Bühne Katrin Lea Tag).

Adrianne Pieczonka: In diesen klinisch reinen, heiligen Kunsthallen bleibt der vom Liebes-Aus traumatisierten Ariadne nur der Selbsttod. Neuenfels lässt den Bacchus da unfreiwillig Sterbehilfe leisten. Pieczonka verkörpert die spröde Ariadne mit raumfüllenden Sopran und echtem Diva-Sound.

In diesem Bühnen-Naxos singen Narine Yeghiyan (Najade, leidenschaftlich), Natalia Skrycka (Dryade, kantig-kräftig) und Sónia Grané (Echo, zart-apart) ein eifriges Gouvernantentrio. Sie tragen kecken Muschelhaarschmuck.

Marina Prudenskaya: ist ein Komponist mit feurig entschlossenem Kunsteifer. Prudenskayas Aussprache ist so-so. Aber ihre das Vorspiel beendenden Kunstbekenntnisse sind heißer als jede Stichflamme.

Roberto Saccà: spielt den mythologischen Weingott wie eine Eins und ist überdies ein höhensicherer Bacchus voll tenoraler Virilität. Saccà ist gewiss keine 25 mehr, aber diese phonstarke Vollhöhe mit dem Timbre einer F-Trompete ist für Ariadne genau das richtige.

Brenda Rae Zerbinetta

“Versucht es mit Musik!”: Brenda Rae ist Zerbinetta / Foto: twitter.com/braesingslalala

Brenda Rae: Ihre Spielfreude wird durch den Babybauch – wie weiland Magdalena Kozena als Mélisande – sichtbar gehemmt. Raes biegsamer Sopran bietet glockenklare Staccati und kurvensichere Koloraturen.

Roman Trekel: tadellos, kernig, autoritär, durchdringend, charaktervoll.

Elisabeth Trissenaar: perfide eindrucksvoll als schneidend-intransigenter Haushofmeister. Aber Trissenaars messerscharfe Schauspielerpräsenz greift zu dominant in das zarte akustische Gewebe des Vorspiels ein.

Tanzmeister ist Florian Hoffmann.

Zu Brenda Raes Spaßtruppe gehören die schlimmen Finger Gyula Orendt (Harlekin), Grigory Shkarupa (Truffaldin), Stephen Chambers (Scaramuccio) und Miloš Bulajić (Brighella).

Karl-Heinz Steffens, Ex-Philharmoniker, leitet energisch, doch ohne aus den Musikern jenes flirrende Strausskolorit, jene holde Hyperkomplexität zu kitzeln, die man von der Staatskapelle Berlin bei Ariadne auf Naxos erwarten darf.


Kritik Berliner Philharmoniker: Daniel Harding, Magnus Lindberg Violinkonzert Nr. 2

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Magnus Lindberg.

Der Finne hat Preise abgeräumt. Die großen Orchester spielen ihn. In New York und London war er composer-in-residence. Magnus Lindberg ist ein Blondschopf in den besten Jahren, der dezentes Intellektuellenschwarz trägt. Er hört in Block A links aufmerksam Dvořák zu.

Komponist Magnus Lindberg Violinkonzert Nr. 2 Berliner Philharmoniker

“Da lang!”: Magnus Lindberg weiß Bescheid / Foto: Sigurd Gartmann / wikipedia.org

Doch im Mittelpunkt des Konzertes mit den Berliner Philharmonikern steht Lindbergs Violinkonzert Nr. 2. Es ist die Deutschlandpremiere. Die Uraufführung fand im Dezember 2015 in London statt (London Philharmonic, Jaap van Zweden).

Lindberg fordert nicht den ganz großen Apparat, nur doppeltes Holz, drei Klarinetten.

Das Violinkonzert ist eine Enttäuschung.

Gewiss, das Stück ist gut ausgeleuchtet, Textur und Sounddesign verraten Lindbergs Handschrift und Meisterschaft. Solist Frank Peter Zimmermann (stark, sehr genau) verschwindet unversehens in opalisierenden Klangzonen wie in Gletscherspalten, um sich wenig später im konventionellen, solistischen Gestus und mit strahlendem Ton in den Vordergrund zu spielen. Doch der Klang des Konzerts wirkt nur zu Beginn unverbraucht. Das Melos wird umso eingängiger, je länger das Konzert dauert. Es ist irgendwo zwischen Bartók und Chatschaturjan angesiedelt. Doch damit nicht genug. Die Klangregie wird gegen Schluss ornamental, die Dramaturgie durchsichtig. Dass Lindberg nicht auf die von klassizierenden Figurationen belebte Kadenz verzichten will, passt ins Bild.

Ich erinnere mich wehmütig an jene sowohl konzentrierte wie überbordende Frische, die Lindbergs “Kraft” auszeichnet – Alan Gilbert stellte das Stück vor zwei Jahren mit den Philharmonikern vor. Wo ist der Exzess, wo der plastische Überschwang von Lindbergs Frühwerk (1985), das, wenn auch kein Stück für die Ewigkeit, doch genug Ideen und Klang für 40 Minuten hatte?

Emmanuel Pahud (Flöte) und acht Philharmonikerkollegen nehmen sich Boulez’ Mémoriale (… explosante-fixe … Originel) an. Die musikalische Qualität des Stücks entspricht der der Solisten. Die schattenhaften Bewegungen der Streicher- und Bläsersolisten fassen Pahuds klaren Ton präzise ein. Hervorragend.

Schumanns Sinfonie Nr. 2 brachte Simon Rattle 2014 und besonders 2013 insgesamt zwingender in der Bewältigung der experimentellen Struktur der Zweiten (Finale!). Doch es ist faszinierend, wie Daniel Harding Schumanns Sonatensatzpathos (die Beethoven’sche Durchführung, der Beethoven’sche Schluss, beides 1. Satz) durch Leidenschaftlichkeit der Details unterläuft. Das Adagio wiegt doch zu leicht. Das Scherzo gelingt schlank und frei.

Antonín Dvořáks selten gespielter Othello (1892) ist mehr Tondichtung als Ouvertüre. Das Werk spart vom ersten ppp-Lento der sordinierten Streicher an nicht an tragischen Themen und schönen Melodien. Der einzige Schönheitsfehler dieser Komposition ist, dass der uneingeweihte Zuhörer nie weiß, wann genau Desdemona erdrosselt wird. Es muss sich um eine jener insgesamt vier Stellen handeln, an denen die Geigen sich zu einem theatralischen, dreifachen Forte aufschwingen.


Kritik Götterdämmerung Wien: Christian Franz, Linda Watson, Eric Halfvarson

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Christian Franz, Linda Watson Götterdämmerung Wien Staatsoper

Händchenhalten vor Matratzenlager: Christian Franz und Linda Watson / Foto: staatsoperlive.com

Götterdämmerung im Live-Stream aus der Staatsoper Wien.

Die Götterdämmerung ist das letzte Spektakel des Rings. Die mythische Wald- und Wiesenoper wird zum menschlichen Schurkenstück. Die Erbengeneration scheitert. Siegfried erleidet den Tod durch Speerwurf, Brünnhilde den Freitod durch Feuer, Hagen den Freitod durch Wasser.

Christian Franz: Franz ist als Siegfried nun einmal kein Stage animal. Sein Tenor ist von verlässlicher Kraft, offen, hell, monochrom timbriert, was zu relativ geheimnislosem Singen führt. Die Phrasierung ist ohne Anmut. Was nicht gefällt, ist die Unart, Ausrufe nicht zu singen, sondern zu sprechen.

Götterdämmerung Staatsoper Wien Akt I Hagen Gunther Gutrune

So sieht Führungsqualität aus: Eric Halfvarson singt / Foto: staatsoperlive.com

Linda Watson (Brünnhilde): Effektvoll doch standardisiert sind ihre Bühnengesten. Die gen Himmel erhobenen Arme, die Andeutung einer verliebten Pirouette – zwischen diesen Polen bewegt sich ihr Gestenrepertoire. Am meisten liegt ihr das maßvolle Abschreiten der Bühnenkante im Stil einer Grande Dame. Die glitzernden Brustapplikationen gehen auf das Konto von Marianne Glittenberg (Kostüme). Zur opulenten Gestalt von Frau Watson passte ein Bett à la Marschallin besser als das Matratzenlager, das der Zuhörer während des Vorspiels zu sehen bekommt.

 

Eric Halfvarson Hagen und Linda Watson Brünnhilde Staatsoper Wien

Linda Watson redet Klartext mit Eric Halfvarson / Foto: staatsoperlive.com

Watson ist im hochdramatischen Wagnerfach immer noch eine Bank. Nie habe ich das Gefühl, die Brünnhilde gehe über ihre Kraft. Ihre Artikulation ist gut, ihr Gespür für expressive Nuancen lobenswert, wenn es auch nicht an das von Herlitzius herankommt. Sie singt schöne Pianissimi. Ihr Material ist fern von Jugendfrische, doch immer noch vorzeigbar, wenn man bereit ist, die tremolierende Vollhöhe außer Acht zu lassen. Zu bemängeln bleibt folgerichtig, dass ihre Interpretation in keinem Bereich superb ist.

Markus Eiche (Gunther): Eiche verkörpert präzise, wie sich Richard Wagner den kraftlosen germanischen Hochadel vorstellte. Eiches Bariton ist hell, feinkörnig, kantabel. Eiche singt und agiert nobel. Im zweiten Akt bleibt Eiche expressive Kraft schuldig: “Wehe mir, dem jammervollsten Manne” habe ich schon stärker gehört.

Götterdämmerung Wien Adam Fischer Christian Franz, Markus Eiche, Eric Halfvarson

So geht Blutsbrüderschaft: Christian Franz, Markus Eiche, Eric Halfvarson / Foto: staastoperlive.com

Eric Halfvarson (Hagen): Dieser bühnenwirksame Hagen dominiert jede Szene. Im Halbschatten dräut seine machtvolle Bismarck-Visage. Er ist ein Finsterling, dessen suggestive Mimik ebenso drohend wirkt wie sein pechschwarzes, prägnant deklamierendes Singen. Halfvarson übertrumpft mühelos das Fortissimo-Fluchmotiv des nicht gerade für schwache Lungen bekannten Wiener Blechs. Das F erreicht Halfvarson mit beträchtlicher Schallkraft.

Regine Hangler (Gutrune): ein Pummelchen mit glockenklarem Sopran. Sie füllt ihren Part nicht ganz aus. Regine Hangler zeigt dünne Ausdrucksgesten (“Siegfried – mein!”).

Anna Larsson (Waltraute): gut, verhangenes Timbre, farbreicher, abgedunkelter Klang, dunkel leuchtende Höhe. Dynamische Nuancen.

Götterdämmerung Wien 2016 Andrea Carroll, Rachel Frenkel

Die Rheintöchter plauschen mit Siegfried: Andrea Carroll, Rachel Frenkel, Juliette Mars, Christian Franz / Foto: staatsoperlive.com

Die Nornen tummeln sich in Blättergewändern vor einem Tannenforst im Bonsaiformat: Monika Bohinec (Erste Norn, beglaubigt die Vorwelt mit autoritärer Stimme, rau, eindrucksvoll), Ulrike Helzel (Zweite Norn: deutliche Registerunterschiede: Mitte kraftvoll, oben spitz, dünn, unten säuerlich), Ildikó Raimondi (Dritte Norn: kraftvoll)

Die Rheintöchter liefern betörenden Ensemblegesang (Rachel Frenkel Wellgunde, Andrea Carroll (Woglinde), Juliette Mars (Flosshilde))

Die Personenführung hat Stärken, so in der Gibichungenhalleszene des ersten Aktes. Das Bühnenbild verzichtet auf Originalität. Es begnügt sich damit, symbolische Hintergrundbilder zu liefern. Doch das schafft Freiraum für die Sängerakteure.

Adam Fischer leitet elegant und warm. Schön sind die aufwärtsschwingenden Geigen des Brünnhildemotivs im Vorspiel, zweite Szene. Siegfrieds Rheinfahrt findet in gemütlicher Pracht statt. In Akt I, Szene 1 entzückt das kammermusikalisch ausgeleuchtete Geflecht der warmen Streicherstimmen. Die Musiker verweben Bläser- und Streicherlinien. Die Bläserstaccati des Speereides haben Tempo.


Dutilleux, Debussy: Kritik RSB Janowski – Tout un monde lointain Konstanze von Gutzeit

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RSB Janowski Konstanze von Gutzeit Dutilleux Tout un monde lointain

RSB spielt Dutilleux: Janowski und Konstanze von Gutzeit stemmen Dutilleux / Foto: instagram.com

Konzerthaus, RSB, Debussy, Dutilleux, Dutilleux, Debussy.

Das Motto des Konzerts könnte “Dutissy” oder “Debulleux” heißen.
Das Programm zeichnet sich durch künstlerische Entschiedenheit aus. Das durchschnittliche Uraufführungsdatum liegt bei 1936.

Dutilleux’ Oeuvre ist klein aber gewichtig. Seine Métaboles kann man als Porträt des Künstlers als junger, aber etwas altkluger Mann bezeichnen. Insofern sind die Métaboles der formal klarere, aber weniger mitreißende Gegenpart zum aufregenden Cellokonzert. Métaboles erschien zu einem Zeitpunkt, als Werke der Kollegen Messiaen und Boulez die Konzertpodien beherrschten, und diese Werke noch einen Ticken giftiger – und weniger altklug – waren. Das Cellokonzert hingegen gehört jener Periode an, als Dutilleux so frei war, nur noch Meisterwerke zu schaffen.

Die Mode, Solokonzerten einen sprechenden Namen zu geben, gibt es nicht erst seit 2014, als Jörg Widmann sein neues Klavierkonzert Trauermarsch nannte. Dutilleux’ Cellokonzert (Uraufführung 1970) heißt Tout un monde lointain. Die Faszination, die von diesem 28-Minüter ausgeht, ist unbezweifelbar. Tout un mode lointain entfaltet sich in hinreißender Manier zwischen fließenden, luziden Texturen und sprachnah expressiven Passagen.

Konstanze von Gutzeit setzt sich mit energischer Disziplin und fern jedes musikalischen Exhibitionismus für Dutilleux ein. Man brauchte nur den melancholischen, von expressiven Gesten schroff durchschossenen Beginn oder den hauptsächlich im oberen Register des Soloinstrumentes zu spielenden zweiten Satz (“Regard”) hören. Im vierten Satz (“Miroirs”) verblüfft der Gegensatz von Soloinstrument und filigranen Farbschleier der Geigen, im abschließenden “Hymne” dagegen die sorgfältig verinnerlichte Theatralik des Cellospiels. Die ist eines der Cellokonzerte, die bleiben werden.

Und damit zur issy- bzw. Debu-Hälfte des heutigen Programms.

Debussys Bühnenmusik Le Martyre de Saint Sébastien zählt zu jenen unpraktikablen Stücken, deren so obskure wie krude Handlung eine vollständige Aufführung erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht. So hört man meist wie heute Abend die konzertkompatiblen und kurzerhand als “Fragments Symphoniques” bezeichneten Auszüge. Dabei weisen die subtil abgetönten Klangoberflächen und das erlesene Orchestertimbre den “Sébastien” als vollwertiges (musikalisches) Meisterwerk jenseits jeglicher Amputat-Existenz aus.

Derartige Probleme hat der einzige “Hit” des heutigen Abends, die klangmächtige Tondichtung La Mer, bekannterweise nicht. Die Musiker des Rundfunksinfonieorchesters Berlin bauen das impressionistische Schaustück aus einer sich reibenden und gegenseitig befeuernden Vielstimmigkeit auf, die sich bis zu den großen gestischen Ausbrüchen steigert. Nicht zu kurz kommt der in gleißender Härte aufschießende Schluss.

Marek Janowski leitet mit sparsamer Gestik. Die Rechte schlägt unermüdlich den Takt. Die Linke akzentuiert Einsätze von Solostimmen oder von Stimmgruppen oder fordert dynamische Ausdifferenzierung. Janowski dirigiert mit der ihm eigenen Mischung aus unanfechtbarer Autorität und konzentrierter Einfühlung. Janowski härtet den orchestral aufgefächerten Farbenrausch Debussys zu strukturell klarem Impressionismus. Architektur geht vor Kolorit.

Sehr schönes Konzert.


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