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Channel: Opern- & Konzertkritik Berlin
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Kritik Staatskapelle Berlin Barenboim: Jonas Kaufmann Lieder eines fahrenden Gesellen, Elgar 1

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Festtage 2016 der Staatsoper Berlin.

Lieder eines fahrenden Gesellen, Jonas Kaufmann.

Die Lieder sind Volkslied und Kunstlied zugleich.

Am besten gelingt gleich “Wenn mein Schatz Hochzeit macht”. Das Lied ist charakterisiert durch seine expressiv gedehnte Langsamkeit. Hervorragend ist Kaufmanns deklamatorische Sorgfalt. Im Vibrieren der Stimme verdichtet sich Textsinn. Übervoll mit Bedeutung angefüllt ist die mannigfaltige dynamische Gestaltung. Man kann ja so viel falsch machen bei Mahler: Bedeutungshuberei, Betroffenheitssalbaderei, Halbstimmenfistelei, um nur einige der häufigeren Missgriffe zu nennen.

Ich sehe Kaufmanns Leistungen im italienischen Fach, insbesondere als jugendlich-dramatischer Tenor, kritisch. Und seine Auftritte bei den einschlägigen Open-Air-Veranstaltungen sind oftmals nur mit Petersilie im Ohr zu genießen. Einige von Jonas Kaufmann auf der Opernbühne gezeigten Unarten – inflationärer Gebrauch der Halbstimme, unidiomatisches Pathos, unverblendete Registerunterschiede – pulverisiert Kaufmann im Liedrepertoire durch fanatische Genauigkeit und Eindringlichkeit der Interpretation.

Das vierte Lied, “Die zwei blauen Augen”, ist wieder beispielhaft. Expressive Langsamkeit, die mit einem sexy Helldunkel aufgeladene Halbstimme, das bedeutungsvolle Stocken des Wort-Ton-Gesangs – das ist exemplarisch.

Barenboim dirigiert, wo nötig, mit lodernder Lebhaftigkeit, und, wo hinreichend, mit nicht endender Geduld.

Die Zugabe Jonas Kaufmanns: Mahlers “Ich bin der Welt abhandengekommen” aus den Rückertliedern.

Elgars Sinfonie Nr. 1: Themen wie eine Dommesse. Oder eine Ostkurve.

Die Sinfonie dauert lang genug, um zwischendurch Zeit für allerlei Beobachtungen zu lassen. Etwa zur Genese von Elgars Stil. Es gibt Durchführungen von kontrapunktischer Hektik, wie man sie in Brahmsstreichquartetten findet (Finale). Ich höre eine Klarinettenepisode wie ein Zitat aus Meistersinger (Adagio). Die lärmende Unverblümtheit mancher thematischer Zuspitzungen (Scherzo, Thema; Finale Hauptthema) kann man sowohl Strauss als auch Tschaikowsky (oder zumindest Dvorak) in die Schuhe schieben. Die Formidee einer langsamen Einleitung für beide Ecksätze riecht doch stark nach Bruckner 5. Aber dennoch ist das Ganze eine Riesengaudi. Im repräsentativen Pomp des Finales gibt Elgar Eigenstes. Ja, Elgars Themen sind geradezu mega-ben trovati. Unvergleichlich bringt sich der zauberhafte melodische Charme des zweiten Scherzothemas zur Geltung.

Barenboim befeuert als unermüdlicher Hephaistos. Es ist ein Übermaß an leuchtendem, aufblühendem Klang in dieser Staatskapelle, Balance und Durchsichtigkeit des Klangs werden bewusst hintangestellt. Der Abend ist reich an dynamischen wie expressiven Extravaganzen. Das Orchester badet in Schattierungen des Ausdrucks.

Fazit: Es gibt keinen betörenderen Mahler-Exegeten als Jonas Kaufmann und keinen luxuriöseren Elgar-Exegeten als Barenboim.



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